„Orbis sensualium pictus“ („Die sichtbare Welt“), meist nur als „Orbis pictus“ betitelt, war ein in Europa vom 17. bis zum 19. Jahrhundert weit verbreitetes Jugend- und Schulbuch, welches Mitte des 17. Jahrhunderts von dem aus Mähren stammenden Theologen Johann Amos Comenius verfasst, mit Holzschnitten versehen und uns durch Simon Huber im Rahmen der Hagenmüllervorlesung am 12. November 2024 näher gebracht wurde.
Der Kulturwissenschaftler Simon Huber, welcher sich immer wieder den Themen „Spielforschung“ und „Medientechnologie“ in seinen Forschungsprojekten widmet, präsentierte hierbei dieses Werk den Schülern und Schülerinnen als wohl das erste multimediale Unterrichtsmaterial und lies es somit als logischen Vorläufer des modernen Bildlexikons erscheinen. Es ist sozusagen das Youtube-Tutorial der barocken Lebenswelt.
Der Titel der Lesung „Buchstäbliche Aufklärung – Die Emergenz der Anschaulichkeit in Comenius‘ Orbis pictus“ ist hierbei treffend gewählt, handelt es sich tatsächlich um eine frühe und analoge Wissensvermittlung, welche durch die zahlreichen Illustrationen zugänglicher wird. So ist auch der Original-Titel dieses Werkes Programm, lernt der Schüler, die Schülerin nahezu autodidaktisch die wesentlichsten Dinge der Welt kennen.
Das Buch Orbis pictus, durch welches Simon Huber in seiner Präsentation digital blättert, verfügt hierbei nicht nur über die Qualität des Wissenserwerbes, sondern bietet zusätzlich einen ästhetischen Genuss und wirkt zudem mitunter pansophisch strukturiert. Die Welt wirkt harmonisch und geordnet – kein Wunder: Johann A. Comenius war eben in erster Linie Theologe.
In diesem Kontext sollte man auch den damaligen barockalen Blick nicht außer Acht lassen. Bereits die Illustration der Einleitung ist ein Beweis der damaligen Weltsicht. Hier steht auf der linken Bildseite ein junger Schüler aus der Natur kommend – Wolken und Bäume machen dies deutlich – dem auf der rechten Seite und vor der Stadt – sinnbildlich für Bildung und Kultur – platzierten Gelehrten, auf dessen ‚erzieherischen‘ Zeigefinger die Sonne strahlt, gegenüber. Mit Blick auf die Epoche des Barocks ergibt sich der zeittypische Umstand, dass dort, wo der Mensch die Macht dazu hat, die Natur reguliert. Die Symmetrie der weltbekannten Anlage des Schloss Versailles diene hierbei unter anderem als visuelles Beispiel dieses menschlichen Anspruches in dieser Zeit.
Im Barock idealisierte man also förmlich die Herrschaft der Kunst über die Natur und stellte den Bereich der Kunst, in dem eben die menschliche Vernunft regierte, obenan. Die Kunst erhebte den Anspruch, durch Kenntnis, Wissen und Veranlagung gestaltet zu werden. Auch Comenius ist sich dieser Geisteshaltung treu und entpuppt sich hierbei auch als ein erster Didaktiker, dessen Ideen bis heute im pädagogischen Bereich wirksam bzw. auffindbar sind.
Am Ende bleibt für die Zuhörer*innen auch der Aufruf, trotz einer heutigen mitunter überdigitalisierten Welt, die Wertigkeit eines Buches und dessen Vermittlungsqualitäten zu erkennen. Das Buch „Orbis pictus“ bleibt zweifelsohne ein zeitloses Dokument gelungener Anschaulichkeit.
Zur Person Simon Huber siehe auch Simon Huber und Kulturtechnikforschung.
Diese Hagenmüllervorlesung gibt es auch zum Nachschauen: