Lebenswege der ersten Chemikerinnen Österreichs
Hagenmüller Vorlesung am Donnerstag, 7. März 2019
Univ.-Doz. Mag. Dr. techn. R. Werner Soukup
Am 7. März kam Werner Soukup für eine Hagenmüller-Vorlesung zurück an unsere Schule und stellte uns die Lebenswege der ersten Chemikerinnen Österreichs vor. Dabei verstand er es wie kaum ein anderer die Einzelschicksale der Frauen mit dem geschichtlichen Hintergrund zu verknüpfen und ließ so Geschichte lebendig werden.
Bis zu der Zulassung von Frauen an Universitäten verging viel Zeit und es mussten viele Widerstände überwunden werden. In früheren Zeiten war die Situation für Frauen anders: In den ersten Jahrhunderten nach Christus gab es eine Reihe von Alchemistinnen, deren Werke noch heute bekannt sind. Die bedeutendste Gelehrte der Spätantike war Hypartia von Alexandria. Doch nach ihrer grausamen Ermordung durch die Handlanger des Bischofs von Alexandria dauerte es vierzehn Jahrhunderte, bis Frauen wieder an Hohen Schulen studieren durften.
In diesen Jahrhunderten waren Frauen von höherer Bildung ausgeschlossen. Allerdings gab es auch Ausnahmen. Auf einem Gemälde von Jacques-Louis David aus dem Jahr 1788 mit dem Titel „Portrait de Monsieur de Lavoisier et sa femme Marie-Anne Pierrette Paulze“, das im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt ist, wird die Ehefrau von Lavoisier im Vordergrund dargestellt. Der berühmte Maler muss gewusst haben, dass die Ehegattin des Chemikers viel zu dessen großen Leistungen beigetragen hat.
Die erste aus Deutschland stammende Frau, die in Chemie promovierte, war Clara Immerwahr (1870-1915). Clara heiratete den berühmten Fritz Haber. Sie beendete in den Morgenstunden des 2. Mai 1915 mit der Dienstwaffe ihres Mannes ihr Leben, während sich Haber wegen des von ihm initiierten Giftgaseinsatzes an der Westfront feiern ließ.
Während an der Universität Zürich bereits 1864 die ersten Frauen zum Studium zugelassen wurden, war es in Wien erst 1897 soweit. Artikel 18 des Staatsgrundgesetzes aus dem Jahr 1867 garantiert allen Bürgern die freie Berufswahl und auch die freie Wahl der dafür erforderlichen Ausbildung – so war der Ausschluss von Frauen vom Studium über dreißig Jahre lang verfassungswidrig. Denn erst 1901 wurde durch eine Verordnung des Ministeriums Frauen die Ablegung der Matura mit der Zulassung für das Studium gestattet.
Viele der ersten Studentinnen an der Universität Wien waren Jüdinnen. Einerseits hat Bildung in der jüdischen Kultur einen hohen Stellenwert, andererseits flüchteten aus Angst vor russischen Pogromen Hunderttausende von Juden und Jüdinnen 1914 aus dem Osten der Monarchie.
Ein Lebensweg einer Jüdin sei nun beispielhaft für die vielen der vorgestellten dargestellt: Stefanie Horovitz wurde am 17. April 1887 in Warschau geboren. Sie maturierte 1907 in Wien und promovierte 1913 am II. Chemischen Institut mit ihrer Doktorarbeit „Über die Umlagerung des Chinins mit Schwefelsäure“. Von 1914 bis 1916 arbeitete sie am Institut für Radiumforschung. In der Zwischenkriegszeit war sie im Verein für Individualpsychologie tätig. 1937 meldete sie sich aus Wien mit unbekanntem Ziel ab. Nachforschungen haben ergeben, dass sie unter dem Namen „Horovitz Stefania“ in der Liste der Opfer des Holocaust von Yad Vashem in Jerusalem erscheint. Sie war kurz vor dem zweiten Weltkrieg zu ihrer Schwester nach Warschau gezogen. Nach dem Umzug ins Warschauer Ghetto erfolgte die Deportation ins Vernichtungslager Treblinka, wo sie – gemeinsam mit ihren beiden Schwestern – 1942 in einer Gaskammer ermordet wurde.
Zwischen 1902 und 1933 promovierten 219 Chemikerinnen an der Universität Wien. Davon wurden mindesten 18 im Holocaust ermordet, von 80 Chemikerinnen ist das Schicksal unbekannt. 48 der Frauen wurden vom NS Regime zur Emigration gezwungen, zwei überlebten in Verstecken den Krieg. Nur 64 der 216 promovierten Chemikerinnen waren danach auch in einem Chemieberuf tätig.
An der Universität Wien dauerte es bis Oktober 2008, bis eine Chemikerin eine Professur bekam: Univ.-Prof. Dr. Annette Rompel. In anderen Ländern war dies bereits viel früher der Fall.
Abschließend dachte der Vortragende darüber nach, ob und was wir aus der Geschichte lernen können. Was passiert, wenn bestimmte ethnische Gruppen herabgewürdigt und verfolgt werden? Ist die heutige Situation mit den vielen Flüchtlingen, die nach Europa drängen, eine andere? Er meinte dazu, dass man von der Community der Wissenschaft lernen kann, wie ein Zusammenleben möglich ist, denn die Wissenschaftler sind eine weltumspannende res publica scienciarum. Und auch wenn sie sich nicht immer einig sind, wird niemand wegen seiner Herkunft verachtet. Es wird so lange diskutiert, bis man auf einen grünen Zweig kommt.
Univ.-Doz. Mag. Dr. techn. R. Werner Soukup spannte einen beeindruckenden Bogen von den ersten Alchemistinnen bis zur heutigen Zeit. Wie so oft in früheren Jahren beeindruckte er durch enormes Wissen und begeisterte durch seinen Enthusiasmus. Vielen Dank für diesen tollen Vortrag!
Mag. Gerda Heinzle